Ursula Radermacher wirkt mit verschiedenen Techniken im Spannungsverhältnis von Wort und Bild, greift einzelne Wörter auf, vereinzelt sie, bildet Wortpaare wie z.B. Hunger und Durst, obenrum und untenrum oder stellt Schimpfworte gegen Liebesbekundungen. Keine Bilderflut überströmt uns. Radermacher nimmt ein Wort und macht eine inspirierende Welt daraus, archaisch und konzentriert, keine Schnörkel, irritierend, nicht aber verstörend, nahezu meditativ. Sie erfindet zu einzelnen Wörtern Symbole, die ZEIT als Kreis oder Rad dargestellt, Wiederkehr ohne Einförmigkeit, der Begriff ERINNERN erscheint als Herz, die SEHNSUCHT erblickt man in einer langgestreckten, blauen Form. Kandinsky stellt schon fest, das Farbe eine Macht ist, die direkt auf die Seele wirkt. Assoziationen, Gedankenverknüpfungen setzt Radermacher frei, indem sie gegen übliche Gewohnheit agiert. Ihre ausgewählten Worte schreibt sie beispielsweise spiegel- bzw. seitenverkehrt. Der Sinn des Wortes erschließt sich in einer Art Umdenken. Die Wahl der Formen ergibt ein eigenes Bilderalphabet, nicht gängig noch selbstverständlich, sondern neu und erneuernd. Die Worte und die dazu gehörigen Motive werden größtenteils auf Glas gedruckt, nicht farbig ausfüllend, sondern kleine Freistellen belassend, porös könnte man meinen. Je nach Lichteinfall und -stärke wirft diese Wort-Bild-Kombination wiederum ein Schattenspiel auf das dahinter liegende weißliche Papier: Bild im Bild. Drei- und mehrdimensionales deutet sie damit an.
Radermacher illustriert keinen Begriff, vielmehr erweisen sich ihre Arbeiten als ein Postulat, das da heißen könnte: Denket um! Das Elementare ist ihr wichtig, und das Lebenswichtige ist die Sprache, denn ohne Sprache keine Welt. Sie will nicht irrwitzig beschleunigen, sondern nachdenklich verlangsamen: Ästhetik und Bewusstwerdung im beabsichtigten Einklang.
In einem anderen Werkzyklus inszeniert sie Lautworte wie: Ohoo! Juhu! Oder Platsch! Stellte sich der Buchstabe A zum U, ergäbe es ein heftiges Au! Schmerzhaft fallen uns Erfahrungen ein. Laute malen Bilder, innere Vorstellungen, negative wie positive.
In einem weiteren Zyklus, es handelt sich um Siebdrucke, erforscht Radermacher den öffentlichen Raum als künstlerische Bildfindung. Wir erkennen in den hochformatigen graphischen Blättern einen Raum im Raum: Container, Zelte unter einer Brücke, bestrickte Laternenpfähle, Graffitis auf Betonwänden oder die Liebesschlösser auf der Hohenzollern Brücke zu Köln. Liebespaare ritzen dort ihre Namen auf kleine oder große Schlösser und hängen diese an das Drahtgelände der Eisenbahnbrücke, ungezählte Herzensschlösser, Quadratmeter um Quadratmeter, hundert Meter lang. Von der Liebe als Schloss erzählt zeitlos schön ein mittelalterliches Gedicht:
Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn;
dû bist beslozzen in mînem herzen,
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost och immer darinne sîn.
Ursula Radermacher stellt mit dieser Werkgruppe die nicht minder zeitlose Frage, was ist Kunst? Und aktualsiert sie erweiternd, indem sie fragt: Was ist Kunst im öffentlichen Raum? Die obere Hälfte der Arbeiten bildet Wirklichkeit verfremdend ab, die untere ergänzt sie durch diverse Farbflächen. Ein Dialog im Bild entsteht, grau und ungefähr steht einer kolorierten Prägnanz gegenüber.
(Joachim Rönneper, Auszug aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung "Schrift - Bild - Zeichen" von Ursula Radermacher und Herrmann Peterssen, GEA/Bochum 2013)
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